1978 entstand ein Acrylglas-Objekt mit dem Titel AMO ERGO SUM. Es enthält 77 Acrylglas-Briefe, gefüllt mit Botschaften von mir und von anderen Menschen. Aus diesem Titel wurde im Laufe meiner künstlerischen Arbeit ein Lebensplan, den ich mit größtmöglicher Ausdauer zu verwirklichen trachte.
1988 drängte sich die Notwendigkeit auf, die letzten 20 Jahre in Form einer Publikation zu rekapitulieren bzw. zu dokumentieren. Als Ergebnis dieser Erinnerungsarbeit entstand die Trilogie AMO ERGO SUM mit ihren drei Teilen PORNOGRAFIE (Teil 1), IRONIE (Teil 2) und UTOPIE (Teil 3).
Diese Dreiteilung war in Anbetracht der Komplexität des Unterfangens nur eine Notlösung, ich fluktuiere daher bis heute permanent zwischen diesen drei Bereichen hin und her, mit der Absicht, eine dichtes, system-analysierendes Bezugsnetz zu weben. Konsequenterweise führt dies zu einer komplexen wechselseitigen Durchdringung aller drei Teile, was bedeutet, dass die PORNOGRAFIE ironisch und utopisch, die IRONIE pornografisch und utopisch und die UTOPIE pornografisch und ironisch schillert. In diesem Sinne wurde die Trilogie für mich die Ausgangsbasis und der Einstieg in ein Hypermedia-Projekt, welches für mich tagtäglich wieder faszinierend ist, weil es immer neue Verknüpfungen, Querverweise und (Zusatz)-Informationen selbst produziert bzw. von außen aufnehmen kann.
In der Einleitung zur Trilogie AMO ERGO SUM deute ich an, daß es mir in der UTOPIE nicht um Zukunftsvisionen geht, sondern um einen Weg ins Ungewisse. Es geht also um die Kunst des Gehens, um einen Zustand der permanenten Bewegung, Veränderung und Verwandlung. Auf dieser Wanderschaft habe ich erfahren, daß es die verschiedensten Möglichkeiten gibt, sich den sogenannten "Reiseerlebnissen" zu stellen. Ich kann sie umarmen oder im Staub zertreten, kann sie schlucken, verdauen oder wieder ausspucken, kann mich von ihnen führen oder schleifen lassen. Da ich dazu neige, einen friedlichen Zustand des Gemütes als Stagnation, als Wachstumsstillstand zu verdächtigen, habe ich mir eine Art von Erlebnisbewältigung angewöhnt, die ich eine "ironische" nenne. Irgendwie habe ich wohl geahnt, daß die IRONIE . und nur sie . mich vor der Übereinstimmung meines Ichs mit der Welt bewahren würde: DISCORDO ERGO SUM!
Sobald also die "unteren, mittleren und oberen Welten" scheinbar an Stabilität gewinnen, lasse ich die IRONIE kompromißlos als Störfaktor in sie eindringen . sie beginnen sich zu verzerren, zu zerbröckeln und ihre in gefährliche Sicherheit wiegende Gültigkeit zu verlieren. Ein Kampf beginnt zu toben, die Flammen lodern . was bleibt mir anderes übrig, als mich in das rettende, kühlende Meer von IRONIE zu stürzen, mit der Hoffnung, wieder an den Strand einer neu gefundenen Identität gespült zu werden?!
Die Angst vor der drohenden Gefahr, meiner eigenen Wirklichkeit total verlustig zu werden, ließ mich aber erkennen, daß diesem durchgehend ironischen Verhalten gelegentlich Einhalt geboten werden mußte. Wenigstens einem Bereich des Lebens sollte man mit gebührender Würde und mit Ernst betrachten. Und was drängt sich da heftiger auf als die . LIEBE?!
Ich habe daher meinem Lebensplan und Arbeitskonzept den Titel AMO ERGO SUM gegeben und mir versprochen, die LIEBE, diesen heiligsten Bereich des Lebens, als kontra-ironisches Tabu zu behandeln. Doch wie sehr habe ich mich getäuscht, mich selbst verkannt, die LIEBE mißverstanden. Denn was ist die LIEBE anderes als ein steter Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung, ein Sichfinden und ein Sichverlieren, und ist nicht eigentlich dieses Pendeln zwischen Geburt und Tod Ausdruck der IRONIE? Einer IRONIE, die sich im Spannungsfeld dieser beiden Pole erschafft und vernichtet, indem sie Distanz schafft und vernichtet.
So wurde mir klar, daß gerade die LIEBE das ureigenste und dankbarste Übungsfeld der IRONIE ist, enthüllen sich durch sie doch am eindrucksvollsten die menschlichen Absurditäten und Widersprüchlichkeiten. Einmal baden wir in einem rosaroten Gefühlstümpel, dann wieder versinken wir in bodenloser Verzweiflung. Heute verstopfen wir uns die Poren mit Liebeskleister, morgen kratzen wir ihn wieder mühsam ab, weil wir zu ersticken drohen.
Und so passiert es, daß die LIEBE, die alles verschmelzende, unendlich beglückende LIEBE, mit einem Male zum Tummelplatz der Eitelkeiten, des Pathos, der Obszönitäten und grausamsten Verletzungen wird.
Wenn man lernt, sich bei all dem gelegentlich "zuzusehen", auf Distanz zu gehen, lernt man das Fürchten . und das Lachen! Die IRONIE wird so Vorbote von Umbruchszeiten, Autbruchszeiten, ja Rebellion . und kann zum Ritt auf des Messers Schneide werden. Ob wir leichtfüßig über die scharfe Klinge tänzeln oder von ihr entzweigeschnitten werden, hängt davon ab, wie mutig wir sind.
Und das ist das Ironische an der IRONIE: überall dort, wo ich Gefahren und schmerzlichen Erkenntnissen ausgesetzt bin, ist mir die Ironie Waffe und Schutz zugleich. Sie führt mich in die Verzweiflung . und führt mich wieder heraus . vorausgesetzt, ich kann mich ihrer bedienen.
Sich der IRONIE richtig zu bedienen ist allerdings keine leichte Sache, denn sie hat viele Gesichter, narrt den Narrenden, versteht und mißversteht, vemeint und entzweit. Ein ironisches Verhalten ist daher zutiefst subversiv, ist ein An-Spielen, Vor-Spielen, Unter-Spielen, Mit-Spielen, ist Angriff und Abwehr, eine Selbst-Behauptung . und eine Selbst-Enthauptung: meinen eigenen Kopf am eigenen Schopf vor mich hertragend, kann ich die Welt mit der nötigen Distanz und aus verschiedensten Blickwinkeln betrachten. Die Blutspuren sind meine Wegweiser, und mit einem schmerzlich-wehmütigen Lächeln um die fahlen Lippen versichere ich mir, daß die IRONIE eben ein gefährliches Spiel mit Extremen ist . und ein dialektischer Akt, der Getrenntes letztendlich wieder miteinander verbindet.
(Sandor Ferenci)
Wie wir wissen, sind der pornographische oder obszöne Witz und die Zote seit langer Zeit eine Domäne des Mannes. Man amüsiert sich über Männerwitze, aber der "Frauenwitz" hat noch kein gesellschaftliches Äquivalent erlangt und wird unter patriarchalen Lebensbedingungen nur eine subversive Außenseiterrolle erringen können. Denn wie Freud für unsere Kultur richtig erkannte, sind der immer tendenziöse, schmutzige, pornographische Witz und die Zote "ursprünglich an das Weib gerichtet". Der witzige Mann erscheint als der hauptsächliche Angreifer, während die Frau konservativer, hauptsächlich als Objekt dieses Angriffes erscheint. Sie ist Objekt, der Mann Subjekt einer sexuellen Entblößung und Aggression, die vor allem Lust bereitet. Die Lust, das Sexuelle entblößt zu sehen, ist für Freud das ursprüngliche Motiv des Witzes und der Zote. Sie stehen im Dienst der "Befriedigung eines Triebes (des lüsternen .)" gegen die "Verdrängungsarbeit der Kultur". Im Witz und in der Zote verschafft sich das Individuum ein Ventil gegen den kulturell herrschenden Lustverzicht und Leidensdruck. Im Gegensatz zu seiner allgemeinen Kulturtheorie der Sublimation bestimmt Freud (in seiner Schrift über den "Witz und seine Beziehung zum Unbewußten", 1905) Witz und Zote positiv als Mittel, die Verdrängung und Zensur des Sexuellen rückgängig zu machen und damit das Verlorene wiederzugewinnen.
Wer der Ausdrucksformen des Witzes und der Zote nicht mächtig ist oder sie verschmäht, ist auch in seiner Lust eingeschränkt. Dies betrifft die weiblichen Menschen unserer Kultur in einem ungleich höheren Ausmaß als die männlichen. Der kulturelle Verdrängungsprozeß gegenüber dem Sexuellen ist allerdings auf beide Geschlechter verteilt, aber wie das Defizit an Frauenwitzen oder vielmehr ihr gänzliches Fehlen zeigt, sind in erster Linie die Frauen die Träger und Opfer der allgemeinen Verdrängung.
Renate Bertlmann gehört zu jenen Künstlerinnen, die auf dem Hintergrund dieser Reflexion unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen oder vielmehr provozieren. Ihre antipornographischen Objekte und Montagen regen zum Lachen an, zunächst weniger oder kaum die Männer, die hier ausnahmsweise einmal die Objekte der sexuellen Entblößung und Aggression geworden sind und bei dieser Gelegenheit lernen können, über ihren eigenen Schatten zu springen: ihr gekränktes Selbstgefühl zu verleugnen und sich vom ungewohnten "Frauenwitz" entwaffnen zu lassen.
Angesichts der vielen phallischen Karikaturen, der treffsicheren Satire auf den männlichen Narzißmus und seine Omnipotenzphantasien, fragt sich, ob Renate Bertlmann dem Witz und der Zote nicht ein neues Terrain erobert hat, das der Frau ermöglicht, die lustbetonte Aggression des Mannes ebenso lustvoll zu beantworten. Die Künstlerin geht hier mit gutem Beispiel voran in gänzlich respektlosen, die selbstbewußte virile Genitalität bloßstellenden Objekt- und Bildmontagen, denen man nichts mehr von der noch bei Freud diagnostizierten, für ihn kulturell durchaus wertvollen, sensiblen "Unfähigkeit des Weibes, das unverhüllte Sexuelle zu ertragen", anmerkt. Bertlmanns "Präservativwurfmesser", die zwei Penisschäften nachgebildete Steinschleuder, der mit ausgestopften Gummipräservativen bestückte Patronengürtel, die zum Votivbild erkorene "Reliquie des Heiligen Erectus" sind eine doppelte Kampfansage gegen die pornographische Gewalt des Mannes und sein Lustprivileg in der patriarchalen Gesellschaft.
Im allgemeinen gibt sich die Frau dem anzüglichen Männerwitz gegenüber völlig passiv, sprach- und ausdruckslos. Der weibliche Mensch reagiert gewöhnlich in der für ihn kulturell vorgesehenen Märtyrerhaltung des weiblichen Objekts, das indigniert oder peinlich berührt zur Seite blickt und sich vom Ort der obszönen Provokation zurückzieht. Gegen diesen Rückzug meldet Renate Bertlmann den Protest der feministischen Frauen an, aber sie tut als Künstlerin auch etwas dafür, daß dieser Protest nicht abstrakt, nicht im theoretischen und moralischen Argument stecken bleibt, sondern ebenso seine lustbetonten Ventile bekommt.
In den Karikaturen, welche die obligate Herrengesellschaft in ihren maßgeblichen Repräsentanten aufs Korn nimmt und den Manager, den Kleriker, das Militär, die grauen Eminenzen und religiösen Propheten ebenso wie die ganze heran gezüchtete Brut der Stammhalter auf einen gemeinsamen phallischen Nenner bringt, schwingen bei aller Anklage und Kritik auch pointierter Witz und Lust am Austeilen, ein gesunder Sadismus mit. Diese Zweigleisigkeit der Karikaturen macht sie überhaupt erst künstlerisch genießbar und von feministischer Rhetorik unterscheidbar. In dem Maße, wie sich die Karikatur bei Bertlmann auf ihr Objekt, den Mann und seine Sphäre konkret einläßt, wird die Angst davor geringer, wird ein Stück mehr an Verdrängung und Zensur weiblicher Lust rückgängig gemacht. Diese befreiende Wirkung ist das Entscheidende, nicht das Erlernen einer Aggression, die dem ubiquitären Männerwitz nachgebildet ist und mit gleicher obszöner Münze zurückzahlt, was den Frauen angetan wird.
Das neue Terrain, das Renate Bertlmann dem "Frauenwitz" in der geschlossenen Männergesellschaft erschlossen hat, geht keine Konkurrenz mit der rüden, gewaltförmigen, im Grunde humorlosen Pornographie ein. Dafür bürgt die poetische Verfremdung, mit der die Künstlerin die Artefakte und Relikte männlicher Lust, voran die zum imposanten, herrschaftlich dekorierten Folterinstrumentarium erweiterte Präservativsammlung, auseinander nimmt und neu zusammensetzt. Dieses Derangement hält kein Mann aus. Die Verdichtung von "Männerschwanz" und Schmetterling ("Diverse Farphalle Impudiche"), der zum Luftballon aufgeblasene oder auf der Wäscheleine trocknende "Männerschutz" ("Der Waschtag"), die zu bunten Kunstblumen aufgesteckten, ohnedies bizarren, als Händchen oder Hahnköpfchen stilisierten "Rauhpräservative" ("Fleurs du Mal") und nicht zuletzt der von allen Materialmontagen ausgehende Appell an die Berührungslust des Betrachters bringen das virile Machtstreben um sein falsches Ansehen. Diese vielseitigen Karikaturen biegen das selbstherrliche sexuelle Prestige des Mannes zu Metaphern seines Versagens um. Sie entwaffnen aber auch im Hinblick auf das gewöhnliche Ziel, das hinter der Strategie männlicher Annäherungsversuche, aufmunternder Zoten und Witze die Frau erwartet: der tiefernste, von Schweiß triefende Koitus.
Die Utopie eines zärtlichen Umgangs mit der Welt und den Menschen ist der jetzigen Realität diametral entgegengesetzt. Lärm läßt Stille nicht aufkommen, und Stille brauchen wir, wenn wir den leisen Stimmen in und um uns lauschen wollen. Hast läßt kein Verweilen zu, und so fehlt die Zeit, um etwas ruhig aufzunehmen oder weiterzugeben. Gier jeder Art verhindert, daß wir uns einander behutsam nähern und berühren. Eine Atmosphäre der Gewalt breitet sich mehr und mehr aus. Sie fördert die Sucht nach gröbster Triebbefriedigung. Mancher maßt sich an, alles dafür verfügbar machen zu können. Die Folgen sind ihm gleichgültig. Wer sich da heraushalten möchte, hat es schwer. Isoliert er sich, so ist es ihm nicht mehr möglich, seine Gedanken und Gefühle auszutauschen, und er läuft Gefahr, zu verkümmern. Gibt er auf und paßt sich der Masse an, wird er erst recht kontaktunfähig, weil er seine Identität nicht mehr spürt. Echte Kommunikation setzt ein Ich und ein Du voraus, den ganzen Menschen mit Körper, Geist und Seele oder, wie Renate Bertlmann es nennt, "das denkende Lieben, das liebende Denken".
Diese auf Nähe und Respekt beruhende Kommunikation braucht offene, aufeinander zutretende Menschen, denen jede Art von Gewalt fremd ist und Herrschergelüste abgehen. Jetzt aber sind Verletzte und Getötete an der Tagesordnung. Eine Gesellschaft, in der alle einander achten, ist Zukunftsvision, Utopie. Darauf hinzuarbeiten bedeutet kämpfen, mit Liebe kämpfen gegen das, was tötet. Der Tod kommt aber unausweichlich auf uns zu. Es gehört zur rätselhaften Antinomie unseres Daseins, daß es Menschen - wie etwa Ellas Canetti - gibt, die diesen aussichtslosen Kampf gegen den Tod auf sich nehmen. Für Canetti ist der Tod ein "Gegner, der uns ein ganzes Leben lang dazu auffordert, im Widerstand gegen ihn das Eigenste zu entwickeln". Das Sehnen nach etwas Dauerndem, dem der Tod nichts anhaben kann, nach unzerstörbaren Leben, ist tief in uns verankert Es gibt keinen Kult und keine Religion, die sich mit dem Tod als endgültigem Schluß des Daseins begnügten. Tod ist zwar immer Vollender des irdischen Lebens, aber zugleich auch Durchgangsstation zu einem andern, unbekannten Leben.
Dennoch macht der Tod Angst. Wir fürchten uns vor dem Ungewissen, obwohl für uns das einzig Gewisse unser Tod ist. Er nimmt uns die letzten Zweifel an unserer Existenz als einmaliges Wesen. Angesichts des sicheren Todes erhält die kurze Zeitspanne unseres Daseins ungeheures Gewicht, das zu ertragen uns nur die Liebe hilft. Sie befreit uns von Furcht, bringt uns einander nahe, hebt Trennendes auf und verbindet uns. Sie schafft zwar den Tod nicht aus der Welt, sie ermöglicht es uns aber, ihn zu akzepteren, indem sie aus bewußtem Sein heraus handeln und aus der Angst vor dem Tod als dem letzten, schmerzvollsten Ausgesetztsein kompromißlosen Mut wachsen läßt. Es ist der Todesmut einer Kassandra, die sich mit ihrer Wahrheit gegen alle falsche Hoffnung stellt, oder der Todesmut einer Antigone, die in ihrer Treue zu den Geboten der Götter dem Willen des Königs zum Trotz ihren Bruder bestattet. Es ist dieser grenzenlose Mut, den die Utopien der Liebe verlangen.
Die Arbeiten Renate Bertlmanns sind Schritte auf dem Weg dazu.Sie enthalten die Härte des Kampfs in läuternden Übungen. Sie zeigen die mit Innen- und Außenwelt verbundenen Paradoxe und Polaritäten. Sie weisen auf mystische Erfahrungen in den Bereichen von Liebe, Leben und Tod hin, wie sie Angelus Silesius in seinem "Cherubinischen Wandersmann" in knappsten Versen formuliert
"Der Mensch hat eher nicht vollkomm'ne Seligkeit,
bis daß die Einheit hat verschluckt die Anderheit".
"Der Tod, aus welchem nicht ein neues Leben blüht,
der ist's, den meine Seel' aus allen Toden fliehet".
AMO ERGO SUM. Das bedeutet nicht nur Selbstbehauptung und ein auf Kommunikation gerichtetes Seinsbewußtsein, es rechnet auch ab mit einer einzig auf Logik basierenden Philosophie, die nicht den ganzen, Körper, Seele und Geist umfassenden Menschen miteinbezieht, sondern einen Teil, den des Denkens, heraustrennt. Es ist ebenfalls Abrechnung mit einer Theologie, die Liebe auf Geist und Seele reduziert und mit moralischen Vorschriften vom Körper fernzuhalten sucht ("Wann werden uns die Theologen endlich etwas von Zärtlichkeit erzählen?"). Unhaltbar wird auch eine Psychologie, die Liebe auf Körperlich-Seelisches beschränkt und den Geist ausklammert. AMO ERGO SUM bedeutet Gleichwertigkeit von Körper, Seele und Geist in einer sich durchdringenden, unteilbaren Ganzheit, die nicht für sich allein bestehen mag, sonden als "Ich" im Zusammenwirken mit einem "Du" die Vereinigung sucht und darin ihr Höchstes findet.
Die "Utopie"-Objekte Renate Bertlmanns umfassen - einander ergänzend - die Komponenten, die unsere menschlichen Beziehungen neu gestalten können: Im Umfeld von Friedhof, Gräbern und Urnen machen wir uns mit dem Tod vertraut. In Läuterungsübungen nehmen wir Abschied von Sinnesgenuß und Begierden. ("Hinter jeder Sehnsucht steht der Tod und droht mit dem Knochenfinger Versagung", "Wunsch abnehmend".) Es sind dem Sterben ähnliche Vorgänge, die bewirken, daß die Angst vor dem Tod kleiner wird. In "Les Amants" sind wir Zeugen einer Art Totentanz. In der Meditationswand "Ich-Du" finden wir erfüllte Liebe, in den verschlossenen Briefumschlägen das Bewahren von Botschaften der Liebe, und in den Urnengrabbeigaben wird unser Ureigenstes vor Zerstörung gesichert. Die "Mutter-Urnenwand" zeigt, wie Zärtlichkeit den Tod übersteigt. Die rührenden Friedhofsfunde im "Haus der Erinnerungen" rufen in uns Gefühle der Geborgenheit wach.
Das Grabmal "Hier ruht meine Zärtlichkeit" läßt uns den Verlust von etwas sehr Wichtigem bedauern. Die geschundene "Schnuller-Heilige" mit ihren weichen "Fühlern" erweckt auf dem geschlossenen Flügelaltar unser Mitleid und unsere Bewunderung, wenn wir sie auf dem geöffneten Altarbild ungeschützt den Verletzungen ausgeliefert sehen. Sie wird so zum weiblichen Gegenstück des dornengekrönten, nägeldurchbohrten Christus.
Voller Willenskraft, mit Energie und distanzierender Ironie setzt sich Renate Bertlmann in ihren Objekten der Öffentlichkeit aus. Sie dringt - sofern wir uns nicht verschließen - über die Sinne bis ins Innerste vor und fordert uns heraus. Indem sie in den Fotozyklen ihr Gesicht verhüllt, wird sie in der Sprache ihrer Körpergebärden umso deutlicher vernommen. Wo sie verbirgt, sei es mit Tüchern, mit Latexhäuten, mit Urnen oder mit Briefumschlägen, zeigt sie uns damit etwas sehr Wesentliches, Kostbares, Zerbrechliches an. Das Verbergen wird zum Bergen, zum Schützen von Eigentlichstem, Eigenstem. Aus diesem Schutz wächst die Kraft, sich auszuliefern, alles loszulassen, den Tod zu akzeptieren und damit die Angst vor dem Sterben zu überwinden. "Die Selbstbehauptung des Wesens ist jedoch niemals ein Sichversteifen auf einen zufälligen Zustand, sondern das Sichaufgeben in die verborgene Ursprünglichkeit der Herkunft des eigenen Seins" (Martin Heidegger, "Der Ursprung des Kunstwerks").
An der Schwelle des Todes berühren sich die das Leben kennzeichnenden Gegensätze: Zärtlichkeit und Härte, Hingabe und Verweigerung, Verbergen und Enthüllen. In dieser Berührung werden die Gegensätze aufgehoben und etwas Anderes, Neues entsteht, ähnlich wie in der Liebe, wenn Ich und Du zu einer Einheit verschmelzen. Lieben, Leben und Sterben gehören untrennbar zusammen. Sie sind Voraussetzung unserer Existenz. Sie wandeln uns zu Wesen, die zu ihrem eigentlichen Sein gelangen und in ihren Ursprung zurückkehren können.
In ihren mehrteiligen SW-Fotoarbeiten RENÉE ou RENÉ bedient sich Renate Bertlmann der Fotosequenz, einer Verfahrensweise, mit deren Hilfe man Zeit- und Darstellungsabläufe vermitteln kann. Diese Möglichkeit inszenierender Fotografie gewinnt für die gesellschaftskritische Analyse von geschlechtsspezifischen Rollenposen eine besondere Bedeutung, die als künstlerische Selbstinszenierung verwirklicht wird. Mit einem Herrenanzug bekleidet wird eine weibliche Schaufensterpuppe umworben und verführt. Feministische Reflexion, Performanceelemente (als Selbstdarstellung) werden von Bertlmann zu einem fotografischen Rollenspiel inszeniert, zu einer Befragung männlicher und weiblicher Verhaltensmuster, die zwischen beiden Polen wechseln und diese enthüllen bzw. entschlüsseln. Bereits in den 70er- Jahren hat die Künstlerin sich intensiv den Themen Sexualität, Rolle und Stellung der Frau, Beziehung zwischen den Geschlechtern angenommen. Ihre Ausdrucksmittel reichen dabei von Performance, über Objekte, Zeichnungen, Malerei, Texte bis hin zu Fotografie.
Carl Aigner, 1991
Das Wechselverhältnis von Eros und Thanatos steht im Zentrum der ästhetischen Investigationen Renate Bertlmanns. Getreu dem Motto "Amo ergo sum", unter welchem die Wiener Künstlerin seit den frühen Siebzigerjahren ihr gesamtes Schaffen subsumiert, visualisieren ihre opulenten, im sensiblen Grenzbereich zwischen Kitsch, Kunst und Tabu angesiedelten Inszenierungen diese zeitlos aktuelle Thematik auf gleichermaßen phantasievolle wie hintersinnige Weise. Der Komplexität des Vorwurfs entsprechend ist das umfangreiche Werk als Trilogie angelegt, deren gleichwertige Teile mit den Untertiteln Pornographie, Ironie und Utopie bezeichnet sind. "Die Pornographie befasst sich im engeren und weiteren Sinne mit dem Krieg der Geschlechter, den Tätern und Opfern und den vielen weiteren Facetten des nackten Überlebens. Die Ironie spürt den in der Kindheit verwurzelten Sehnsüchten und Aggressionen nach und versucht mit den dabei aufkommenden Lust- und Ekelgefühlen fertig zu werden. Die Utopie gibt sich nicht, wie man vielleicht meinen könnte, Zukunftsvisionen hin, ganz im Gegenteil, sie pflastert den Weg ins Ungewisse mit schweißtreibenden Exerzitien wie Askese, Versagung und Übungen im Sterben" (Renate Bertlmann, 1989). Ursprünglich aus dem Bedürfnis resultierend, die zahllosen Hervorbringungen einer überbordenden Kreativität zu ordnen, entpuppte sich die Trilogie rasch als anspruchsvolle Programmatik, die bis heute nichts an Aktualität und Notwendigkeit eingebüßt hat. So mächtig und bedeutend die einzelnen Elemente für sich auch erscheinen mögen, so durchdrungen und abhängig sind sie voneinander. In allen Facetten des Bertlmannschen Produzierens erscheint die Pornographie ironisch und utopisch, die Ironie utopisch und pornographisch sowie die Utopie pornographisch und ironisch. "Amo ergo sum" zielt aus einer explizit weiblichen Perspektive in einer nach wie vor patriarchalen Gesellschaft auf "Selbstbehauptung und ein auf Kommunikation gerichtetes Selbstbewußtsein. Es bedeutet Gleichwertigkeit von Körper, Seele und Geist in einer sich durchdringenden, unteilbaren Ganzheit." (Maria Vogel, 1989)
Wenn Renate Bertlmann in ihren plastischen und malerischen Inszenierungen, die stets in einer zweiten Arbeitssequenz mit den Medien Film und Fotografie analysiert werden, den Trivialmythen des Begehrens nachspürt, nimmt sie überkommene moralische und soziale Traditionen ins Visier. Nicht nur strukturell verweist das Gesamtkonzept auf die Dreifaltigkeit, jenes christliche Herrschaftssymbol eines männlichen Dreigestirns. Auch inhaltlich wird Aspekten der Geschlechterdifferenz und der Funktion von Rollenklischees größte Bedeutung zugemessen. Mit lustvoller Geste demontiert die Künstlerin die Insignien männlicher Macht und Herrlichkeit. Sie beschreibt aber auch die Kraft der Sehnsucht und verleiht der Vorstellung von einer gelingenden zwischengeschlechtlichen Kommunikation Gestalt. Nicht zuletzt imaginiert sie Empfindungen der Scham in Bildern, die unmittelbar alle Sinne anrühren und erkundet die sinnliche Faszination, die im Wechselspiel von Distanz und Näherung steckt.
Das künstlerische Interesse gilt primär der Metamorphose. Lustvoll wird in Performances und Fotosequenzen mit mannigfaltigen Szenarien der Verwandlung experimentiert. Installationen und Bilderzyklen entwerfen poetische Erzählungen und begleiten ihre Akteure auf ihrer Reise durch ein wechselvolles Dasein. Die differenzierte Ikonografie der bildgewaltigen Kompositionen bedient sich ungeniert aus dem historischen Fundus. Die archaischen Fruchtbarkeitssymbole Phallus und Vulva treten ebenso in Erscheinung wie volkstümliche Motive der Frömmigkeit. Populäre Märchengestalten wie Schneewittchen und die sieben Zwerge oder das Einhorn erscheinen in geändertem erzählerischen Kontext.
Im Frühwerk dominieren, unter dem Eindruck des feministischen Diskurses um weibliche Rollenbilder und einem individuellen Bedürfnis nach Abgrenzung von den Anfechtungen der Wirklichkeit, Symbole der utopischen, egalitären Liebe. In der Fotosequenz "Zärtliche Berührung" explorieren zwei in Kontrastfarben gehaltene Latexschnuller verschiedene Stadien der Tuchfühlung. Die beiden gleichwertigen Akteure reiben sich unbefangen aneinander, umschlingen und durchdringen sich in unmissverständlicher Repräsentation einer sexuellen Begegnung.
Wesentlich aggressiver gibt sich die Skulptur "Ex Voto" aus den späten Achtzigerjahren, in welcher die Nahrung und Zuwendung versprechende weibliche Brust unerwartet zerstörerische Qualitäten an den Tag legt. Aus einer der beiden Warzen des herzförmigen Torsos aus farbig gefasstem Polyurethanschaum, der wie eine Preziose in einem gläsernen Schaukasten präsentiert wird, ragt ein spitzes, scharfes Messer. Das Lustobjekt Frauenleib signalisiert nicht länger Verletzlichkeit, sondern droht Verletzung an, fordert unvermittelt respektvolle Distanz ein. In den Kompositionen des letzten Jahrzehntes dominiert ein eher ironischer Blick, der mit Vorliebe auf den eregierten Phallus fällt, welcher in den unwahrscheinlichsten Maskeraden in Erscheinung tritt. Da wird dem "San Erectus" ein mit Glanz und Glitter geschmücktes Devotionalbild gewidmet. Prachtvolle, maßgeschneiderte Frauenroben zieren eine Gruppe bunter Dildos, "Les Enfants Terribles", die sich zu einer skurrilen Modeschau versammelt haben. Rote Zipfelmützen kleiden die aus handbemaltem Ton gefertigten "7 Zwerge" vortrefflich, die unter einer Glasglocke mit der Aufschrift "Käse aus Österreich" Schutz suchen. Aber auch der geistliche Ornat steht den strammen Gesellen außerordentlich gut, wie die auf Samt und Seide gebetteten Kardinäle aus der computeranimierten Bildsequenz "Zwitscher-Litanei" beweisen. Die Abbildungen des männlichen Geschlechts schockieren längst nicht mehr. Sie sind Karikaturen, "welche die obligate Herrengesellschaft in ihren maßgeblichen Repräsentanten aufs Korn nimmt und. das Militär, die grauen Eminenzen und religiösen Propheten ebenso wie die ganze herangezüchtete Brut der Stammhalter auf einen gemeinsamen phallischen Nenner bringt" (Peter Gorsen, 1989). Andererseits sind die aufwendig eingekleideten und liebevoll geschmückten Figurinen, niedliche Produkte des Hausfleißes, auch als ironischer Kommentar zum weiblichen Begehren zu interpretieren: die erotische Prothese ist als lustbringendes Vehikel längst gesellschaftsfähig. Renate Bertlmann unterstreicht die Doppelbödigkeit des Sujets, das unter dem Glassturz zum Spielzeug verkommt. "Was von der Urgewalt des Eros geblieben ist, sind infantile Phantasien, die eher geschützt denn destruiert gehörten." (Konrad Paul Liessmann, 1993)
Zu den spannendsten Arbeiten aus den letzten beiden Jahren zählen digital generierte, mit Sound unterlegte Bildgeschichten. Die von der Künstlerin als "Short-Cuts" benannten Animationen schließen formal und inhaltlich an die frühen Experimente mit sensitiven Materialien an und thematisieren Möglichkeit und Grenzen der sinnlichen Wahrnehmung. "Formationen" lässt den Blick über eine sich permanent verändernde Landschaft von geschmeidigen, lebendig wirkenden Latexformen schweifen. In "Looking Glass" wird eine kaleidoskopische Welt der Formen und Farben entworfen, die durch ihre opulente Pracht und abstrakte Figürlichkeit bezaubern. So unterschiedlich die Bildfolgen auch sind, appellieren sie doch gleichermaßen an unsere Wahrnehmungsbereitschaft. In wenigen Minuten eröffnen sie abgründige Mikrokosmen, welche von der Allgegenwart sinnlicher Sensationen träumen.
Formal ist das facettenreiche Schaffen der Künstlerin, die klassische Darstellungsmethoden ebenso schätzt wie Experimente mit außerkünstlerischen Medien und Materialien, von einem explizit fotografischen Blick auf die Wirklichkeit durchdrungen. All ihre Arbeiten, seien sie nun ephemerer Natur wie Performances und Installationen oder aber konventionelle Kunstwerke, fungieren stets auch als Rohmaterial einer zusätzlichen fotografischen Inszenierung. In unzähligen Einzelbildern bannt Renate Bertlmann die sinnliche Gewissheit ihrer Existenz aufs Zelluloid und reizt die schwelgenden Bilder bis ins letzte Detail aus. So entstand in drei Jahrzehnten ein wahrhaft monumentales Archiv der Schaulust, aus welchem immer wieder einzelne Ansichten isoliert und programmatisch zu Zyklen, Sequenzen und Serien verdichtet bzw. in jüngster Zeit zu elektronisch generierten Bildfolgen montiert werden. Diese Ensembles erlangen im Kontext des Gesamtwerks eine völlig eigenständige Bedeutung. Sie erzählen einerseits eine neue, dem als Vorwurf dienenden Werk nicht notwendig immanente Geschichte und verlagern andererseits den Akt der ästhetischen Reflexion auf eine Metaebene. Denn die im Kontext des Kunstwerks abgehandelte Auseinandersetzung mit einer gesellschaftspolitischen Problematik wird, wahrgenommen aus der sicheren Distanz, die der Fotoapparat zwischen Bildgegenstand und rezipierendem Auge schafft, objektiviert. Plötzlich scheinen die künstlerischen Strategien der Verkörperung mit der unmittelbaren Arbeit am Subjekt vergleichbar, welche die Gesellschaft den Individuen abverlangt.
Sie erscheinen ebenso künstlich und determiniert wie jene Zurichtungsrituale, denen Leib und Seele heute freiwillig unterworfen werden. Das wiederum entschärft die Brisanz des zentralen Themas und verweist auf die Autorin, die sich mit den Bildern selbst befragt: Indem sie konsequent jede innerbildliche Konkretion der Wünsche verwehrt, hält sie das jeder Kunst innewohnende Glücksversprechen in Schwebe.
Die Neugier auf die Wirklichkeit bleibt, zusammen mit der Hoffnung auf Veränderung, bewahrt.
Gumpoldskirchen, im Mai 2002
Revisionen zum Werk Renate Bertlmanns (2008) (PDF)
Beim Eintritt in ihr Atelier gibt es einen Diéjà vu-Effekt: in den Sechzigerjahren gab es die so genannten "Stores" amerikanischer Pop- und Happeningkünstler - ich denke an Carolee Schneemann, aber auch an Claes Oldenburg. Dabei tritt auch ein Verdachtsmoment auf: ist Renate Bertlmann immer noch zu amerikanisch in ihrem Frühwerk, weil die Resonanz und Nachfrage von Galerien und Kunsthallen in Wien zu gering ist? In der Tat ist sie nicht zu Unrecht von jüngeren Künstlerinnen wie Carola Dertnig als "Mother of Invention" der feministischen Performancekunst gefeiert worden. Doch die österreichische Kunstszene ist träge, zäh, es bewegt sich wenig und das Werk von Renate Bertlmann hat noch zwei andere Punkte sehr früh berührt, die miteinander zusammenhängen: Ambivalenz und Kitsch. Diese Methoden sind in der Kunstszene hierzulande bis vor wenigen Jahren praktisch nicht oder nur kaum verankert. Das heißt, es gibt viele Tendenzen, die in ihrem Werk Jahrzehnte früher auftraten, teilweise ungehört verhallten und durch den oft ephemeren Charakter der Performance nicht in die Kunstgeschichte eingeschrieben wurden. Dazu gehört neben der von ihr immer genützte Ambivalenz, das "Reißen des roten Fadens" und die Gabe der Revision.
Eine ihrer Taktiken dabei ist lustvoll Lieblich-Peinliches aus pornografischen Utensilien, Brautkleidern, Schnullern, Herzen und Gartenzwergen zu machen. Der vom konzeptuellen Denken vielfach weiß gewaschene Kunsttheoretikerklügel sieht in diesen Werkzeugen des Trivialen immer noch die Feindbilder seiner eigentlichen Bildverweigerung und ergreift panisch die Flucht. Es wäre gut möglich, die von der Künstlerin gewählte Dreieinigkeit für ihre Werkblöcke - Pornografie, Ironie und Utopie - mit einem Titel wie "St(r)ammhalter im Bru(s)tkasten" zu umschreiben. Wie der von Louise Bourgeois geliebte, auf Robert Mapplethorpes Fotos unterm Arm getragene skulpturale Penis, "La Fillette", hat auch Bertlmann den von Sigmund Freud geschürten Irrtum vom weiblichen "Penisneid" - unter anderem - mit schrillen Puppenkleidern über dem Dildo aus dem Pornoshop, dabei vor allem übergroße schwarze Exemplare, beantwortet. Oder der große Pimmelbruder wurde zur Mumie umwickelt und in die den Brutkasten ersetzenden Vitrine gelegt: "Corpus impudicum arte domitum". Subversiv an die Tabugrenzen "anecken" ist Bourgeois und Bertlmann gemein wie die oft durch Verkleidung oder Verwandlung, Perversion und Dekonstruktion errungenen Fragen nach Identitäten, wobei die weiblichen Geschichten sich nicht anklagend an ein Gegenüber richten - auch die männliche Sicht des "Anderen" ist grundsätzlich als Gesellschaftskritik einbezogen. Amerikanisch ist aber vor allem die interaktive Kommunikation mit dem Publikum, die von Anfang an in ihre Performances einbezogen waren. Das bedeutet, Bertlmann nützt nicht nur ihren Körper als Projektionsfläche weiblicher Identität und geht mit ihm und ihren teils aus Relikten bestehenden plastischen Werken in den Raum, sondern ihre Performances sind eigentlich Happenings. Die Besucher wurden viel stärker als von den männlichen Vertretern des Wiener Aktionismus aktiv eingebunden, mussten Geld in Klingelbeutel einwerfen, auf Teile des Kunstwerks schießen, tanzen, Rollstuhl schieben, sich eben einbringen. Bertlmann trat nicht nur mit internationalen VertreterInnen der Performanceszene bei Festivals in Bologna, Amsterdam oder Wien gemeinsam auf, die Begegnungen mit Gina Pane oder Ulay/Abramovic prägten auch ihre Arbeit in Richtung einer internationalen Entwicklung des Aktionismus.
Die Wiener Spezialitäten wie Verletzung und Verschleierung teilt sie nur mit Rudolf Schwarzkogler und Rita Furrer, unterschiedlich ist dabei ihr humoristische Aspekt und auch von Beginn an - wie bei den jungen KüstlerInnen heute - die Interaktion mit Musik und Sprache, die Benützung von Lehrtafeln, Vorzeichnungen und die selbst organisierte fotografische wie filmische Dokumentation. Um diese zu gewährleisten, gründete sie mit Linda Christanell das BC-Kollektiv als frühes Teamwork zweier Frauen in den Siebzigerjahren. Ein gegenseitiges Filmen mit Super 8-Kameras ermöglichte die Dokumentation ihrer ephemeren Arbeit, wobei die dabei verwendeten Objekte aus Textil, Latex, Holz etc. auch in Installationsfotos für sich stehen können - so gibt es mehrere Abwandlungen ihrer "Streicheleinheiten" auf Sesseln, aber auch auf Schnüre gehängt - sozusagen ein "Waschtag" der künstlerisch manifestierten Tabus. Das Publikum konnte diese als tastbare Kunstobjekte in körperliche Nähe bringen. Sie setzen sich aus Latexgüssen von Schnullermatten oder Präservativschnüren zusammen und haben als aus einem Koffer quellende Peinlichkeiten wieder die Funktion, auf die ambivalenten Kräfte des Eros, auf tabuisierte Grausamkeiten wie Vergewaltigung, Inzest und Kannibalismus hinzuweisen.
Beim Schießen auf Sexpuppen mit der Schleuder in Form eines gegabelten Penis in der 1980 in New York ausgeführten Performance "sling shot action" oder noch mehr in der komplexen Arbeit "Wurfmesserbraut" 1978 sind alltägliche sadomasochistische Praktiken zur radikalen künstlerischen "Hinrichtung" gewandelt - wie Niki de St. Phalles Gewehrschüsse auf die oft mit christlichen Symbolen gespickten "Tir"-Installationen oder Chris Burdens Selbstschussapparat. Im Aufschneiden der Stoffbahnen wurden mit "Deflorazione in 14 stazioni" in Bolognas modernem Museum an die frühen Schnittaktionen Lucio Fontanas oder die parallel in den Fünfzigerjahren von Saburo Murakami aus der japanischen Gutai-Gruppe vollzogenen Sprünge durch Papierbahnen erinnert.
Die aus Bertlmanns "Urvagina" triefenden Noppenschnüre sprachen ein Jahrzehnt vor Kiki Smith' Geburts- und Menstruationsikonografie von diesen Inhalten. Dieses Thema war aber wieder die Übertretung einer Tabugrenze und auch dies löste beim Publikum keine angenehmen Assoziationen aus. Wie das Benützen von erotischen Prothesen für Männer wie Frauen brachten sie ihre Themen und die Methode der direkten Aufdeckung früh ins Kreuzverhör von beiden Seiten. Sie musste feststellen, dass nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen auf ihren Trivialmythen von Hochzeit, Kinderwagen und Einfamilienhaus beharrten, in denen diese "Helferleins" auch als Kunstgegenstände nicht gern gesehen und eher in geheimen Laden verschlossen bleiben.
Verlängerte sie die Präservative dann noch um Messerklingen, Reibeisen und andere Werkzeuge eines privaten Folterkabinetts oder der im 19. Jahrhundert so gefürchteten Vagina dentata, waren viele mit ihren Abstoßungsreaktionen beschäftigt. Eine auf solche Art kritische Kunst findet nur schwer den Weg auf den Kunstmarkt, weil sie die Peinlichkeit und den Kitsch genussvoll zum Thema machen.
In der Kindheit verwurzelte Sehnsüchte und die in Wien beheimatete Psychoanalyse sind für Bertlmann insofern auch Ursachen für Aggression und Gewalt in der Gesellschaft, wenn die Enttäuschung oder die Disziplinierung durch die Regeln der dominanten bürgerlichen Familienstrukturen fehlschlagen und nur mehr der Hort von Neurosen sind. Wie sehr sie damit schon seit Jahrzehnten am tragischen Zug der Zeit war, zeigen Kriminalfälle in Österreich, die sogar Bundeskanzler zur Landesverteidigung anstacheln, obwohl sie gerade an der Offenlegung verkrusteter Patriarchalstrukturen kranken. Dabei attackiert die Künstlerin mit ihren Werken und begleitenden Texten auch die Theologen, indem sie Kardinäle (als bekleidete Dildos) zu mehr Zärtlichkeit aufruft, zum Miteinander und echter Solidarität statt verschleiernder Sprache.
Der Schleier und die Jungfernschaft haben sie natürlich auch beschäftigt, bevor dies politisch zu Themen eines neuen Europa wurde, in dem die Multikultivorstellungen der Siebzigerjahre im Terror und Schwesternmord aus Ehre verglüht sind. Sie benutzte Tücher bei Performances für Fotografiezyklen, die Aufschriften trugen wie: "Hinter jeder Sehnsucht steht der Tod und droht mit dem Knochenfinger, Versagung." Sie thematisierte den Schutz von Innen und Außen damit, auch den Schutz des Körpers vor seiner Vermarktung als Werbefläche, eine Hauptthematik der Siebzigerjahre und somit eine wesentlicher Diskussionspunkt in der IntAkt Künstlerinnengruppe.
Soziale Strukturen haben vor allem in den letzten Jahren in den Werken Renate Bertlmanns immer breiteren Raum gewonnen: Filme und Fotozyklen über Migrantinnen oder Fotos einer Dichterin, die über Traumatisierung schreibt. Film- und Fotoworkshops, Organisation von Symposien und deren Publikation - viel Teamwork mit jüngeren Künstlerinnen wie Andrea Kalteis, der sie einen eigenen Zyklus "Assoziationen" widmet. Wie die Phasen des Unterrichtens benützt sie die Diskussion mit anderen als Reflexionsphasen, zur erneuten Materialsichtung und Neuorientierung. Denn auch für sie ist der anfänglich radikal erfochtene Feminismus nun bereits in der dritten Phase seiner Wandlung angelangt, was einige Umarbeitungen notwendig macht.
Obwohl die Performerinnen in den Siebzigerjahren in Wien die Kunst zum Umgang mit neuen Medien, mit dem Raum und auch mit neuen ungewöhnlichen Materialien öffneten, ist dies heute zu wenig bekannt, auch die enge Beziehung zu den amerikanischen Happenings oder dem Mix von Sprachspiel aus Minimalismus und Konzeptkunst und teils üppigen Objekten wird an Bedeutung gewinnen. Die subversive Brautikonografie bleibt aber von Hanna Höch bis Renate Bertlmann auch eine wesentliche Antwort auf eines der Hauptwerke Marcel Duchamps "Das große Glas" oder "Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar.". Die intellektuelle Mänlichkeit des Protagonisten versucht die Künstlerin aber auch in vielen ihrer "Ready mades" als einseitig zu entlarven: ohne die Einbeziehung der Psyche ist die Metaebene des Kunstwerks ohne Leben. Hier steht sie einmal auch Joseph Beuys nahe. Die dabei früher wesentliche Suche nach einer spezifisch weiblichen Ästhetik in den Siebzigerjahren, die angesichts der männlich dominierten Kunstszene berechtigt schien, wird heute sehr oft vergessen und selbst von den Künstlerinnen verdrängt, da die Queer- und Transgenderdebatten toleranter erscheinen als die Tendenz, ein Geschlecht durch sein heterosexuelles Gegenüber zu spiegeln. Trotzdem muss auch der historische Aspekt immer einbezogen werden, was die Wichtigkeit ihrer künstlerischen Aussagen noch um einiges steigert.
Zu Hanna Höchs collagehaften Zerschneidung der Bräute kommt bei Bertlmann auch das technische Röntgenbild, dessen sich schon früh Man Ray und Meret Oppenheim bedienten, zuletzt aber vor allem Jürgen Klauke. Klaukes schwarze Ironie und Geschlechtertausch haben auch in der Entscheidung zum Foto als Tableau eine Schwesternschaft in Bertlmanns Fotosequenz "Renée ou René" von 1980. Küchenobjekte wie die sprechende "Käseglocke" auch für künstlerische Inhalte zu nützen, um pornografische Zwerge oder "Verbote Früchte" dann auf Podesten zu präsentieren spielt selbst mit dem "Trompe l'oeil-Gedanken der Barockzeit. Das Sehnsuchtsobjekt der verkitschten Schneekugel ist da natürlich ebenso unerlässlich wie die verschiedenen Herzikonografien und Kinderspielzeuge, die sich bei näherer Betrachtung als Behindertenbehelfe entpuppen. Das haben jüngere Kolleginnen wie Anna Jermolaewa oder die Geschwister Odradek zu eigenen Foto- und Videoarbeiten angeregt, die auch die latente Aggressivität übernehmen, die allerdings durch Humor gemildert wird.
Der Ausspruch der Künstlerin über die neuesten Werkgruppen: "Mittlerweile bin ich friedlicher geworden" muss nicht unbedingt unterschrieben werden, wahrscheinlich ist es nur ein Oszillieren des Humors von deftig zu feinsinnig, was in ihren Fotobüchern und -filmen seit etwa 2001 auffällt. Seit 2008 bin ich Trägerin eines "Zoo Guide" von Renate Bertlmann, eine Ehrenmitgliedschaft ihrer Fangemeinde, sichtbar als Multiple unter Plastik an einem Schlüsselband, das man wie eine Kette tragen kann. In welchen Kunstzoo die Reise weiterführen wird, kann ich jedoch nicht beantworten.
Inszenierte Subjektivität in den Fotofilmen Renate Bertlmanns (PDF)
Das Wahre kopieren kann ganz gut und recht sein;
aber das Wahre erfinden ist besser, sehr viel besser.
(Giuseppe Verdi)
In einem leichtfüßigen Balanceakt zwischen Ironie und behutsamer Spurensicherung stellen die Fotofilme Renate Bertlmanns die Wirklichkeit der Bilder zur Diskussion. Seit 2001 befasst sich die Künstlerin, nach vielfuml;ltigen Experimenten mit Performance, Installation, Objektkunst sowie inszenierter Fotografie, auch mit dem Medium Fotofilm. Dieses hybride Zwitterwesen bedient sich der Bildstrategien von Fotografie und Film gleichermaßen und verdichtet fotografische Momentaufnahmen mit den Mitteln der Animation und Überblendung zu filmischen Sequenzen. Durch die Verschmelzung der beiden unterschiedlichen Bildformen, dem Stillbild, in welchem Zeit und Bewegung eingefroren erscheinen und dem Film, dessen Eigenart in der Organisation von Zeit und Bewegung begründet ist, entstehen künstlerische Kleinodien, deren unkonventionelle Bildideen neue Sichtweisen eröffnen und einen großen Interpretationsspielraum zulassen.
Die Begeisterung für das Genre, dessen Geschichte mit Alain Resnais' Künstlerbiografie "Van Gogh" aus dem Jahre 1948 beginnt, in welchem Ausschnitte aus Gemälden zu einer Erzählung kompiliert werden, gründet wesentlich auf der enormen Gestaltungsfreiheit, die es bietet sowie den faszinierenden technischen Möglichkeiten. Wie Film und Video ist auch der Fotofilm von der Apparatur abhängig und an die Fortschritte und Entwicklungen der digitalen Bildbearbeitungsprogramme gebunden. Allerdings erlaubt er eine, im Gegensatz zu den aufwändigen Produktionsabläufen beim Film, direktere, unmittelbarere und billigere Herstellung. Die Arbeit mit Kamera und Computer kann von einer einzigen Person geleistet werden, sodass im Idealfall die gesamte Gestaltung vom Konzept über die Bildfindung bis zum Sounddesign aus einer Hand stammt. Als künstlerisches Ausgangsmaterial können unterschiedlichste Fotografien herangezogen werden: gefundene oder neu produzierte Bilder, inszenierte Fotografie oder Schnappschüsse. Ausschlaggebend ist ihre visuelle Qualität, die durch Hell-Dunkel- Kontraste, Räumlichkeit, Fläche und Kontur, Harmonie oder Dynamik bestimmt wird. Die Umwandlung vom statischen Einzelbild in einen bewegten Bilderfluss passiert durch Überblendung und Animation, wobei der Übergang zum Videoclip fließend ist. Dieses Verfahren bewirkt zudem, dass der Standpunkt der Kamera fixiert erscheint, als wäre der künstlerische Blick von einem bestimmten Punkt auf das Geschehen gerichtet. Das verleiht dem Fotofilm einen gleichermaßen subjektiven wie theatralischen Charakter und verwischt die Grenzen zwischen Dokumentation und Inszenierung. In komprimierten Erzählungen werden Erfahrungsräume konstruiert, wobei die Durchdringung von Realität und Virtualität und das Wechselspiel von visueller Überforderung und ästhetischer Konzentration die Wahrnehmung irritiert und sensibilisiert.
Thematisch kreisen die Fotofilme Renate Bertlmanns, die zwischen nüchternem Protokoll und poetischer Umschreibung oszillieren, um die Frage nach dem Subjekt sowie den Grenzen und Möglichkeiten, die unsere Gesellschaft für die Arbeit des Menschen an sich selbst bereitstellt. Es sind Versuche der Selbstversicherung in einer Zeit, in der die Entwicklung der Medien die Differenzierung der Gesellschaft vorantreibt und durch die potentiell zunehmende mediale Präsenz jedes Einzelnen die Komplexität der Kommunikation ebenso steigt wie der Bedarf an Symbolen. Eben diese stehen seit jeher im Zentrum der künstlerischen Aufmerksamkeit Renate Bertlmanns, die unter dem Motto "Amo ergo sum" eine sehr persönliche Spielart des ironisch-romantischen Feminismus entwickelt hat und mit ihrem vielseitigen Schaffen für ein respektvolles und zärtliches Selbst- und Weltverhältnis plädiert. Der verobjektivierenden Selbst- und Weltschreibung der Wissensgesellschaft und ihrem Primat des analytischen Denkens setzt sie ästhetische Einbildungskraft und die Kraft subjektiven Empfindens entgegen.
Ansatzpunkte dafür bieten ihr die Arbeit mit Erinnerung, einem zwar fragmentarischen und flüchtigen Medium, das nichtsdestoweniger Grundlage unserer Selbstverortung ist und in der Gesamtschau kulturelle Identität formt. Unter dem von der Frauenbewegung formulierten Leitmotiv "Das Private ist politisch" erkundet sie auch in ihren Fotofilmen die Räume individueller und kollektiver Erinnerung. Der Bilderbogen, den sie in ihren kurzen Werken auffächert, ist weit gespannt. Er reicht von feinsinnigen Portraitstudien, welche Einblicke in die Lebenswelten von Freundinnen gewähren, bis zu Minidramen, in welchen Puppen als Akteure eingesetzt werden um Beziehungsmuster und Rollenbilder zu untersuchen. Er umfasst symbolisch aufgeladene Naturstudien, in welchen unspektakuläre Landschaftsdarstellungen zur Reflexion über den Rhythmus von Werden und Vergehen einladen, ebenso wie Erkundungen urbaner Architektur und Lebenspanoramen, in deren assoziativer Rundschau die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen thematisiert wird: Nähe und Distanz, Bewegung und Stillstand, Geschichte und Gegenwart. Immer wieder kreist der Blick Renate Bertlmanns auch um eigene Kunstobjekte, sei es um mit ihnen grundlegende menschliche Bedürfnisse und Befindlichkeiten, Wünsche und Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, oder sei es, um ritualisierte Kommunikationsmuster und überkommene Geschlechtsrollenbilder zu hinterfragen. Immer wieder aber geht es auch um formale Experimente, welche die Eigenart des künstlerischen Blicks untersuchen, der in der filmischen Analyse das Wechselspiel zwischen Form und Farbe, Raum und Zeit, Bild und Sound inszeniert und die Bedeutung der Bilder durch bewusste Kontextualisierung steuert.
Vieldeutig und rätselhaft sind die Arbeiten und damit einem zentralen ästhetischen Paradigma der Moderne verpflichtet: Der Ambiguität. Es bleibt ungeklärt, inwieweit Renate Bertlmanns Fotofilme auf Nachbildungen der Realität abzielen oder ob es sich um Reflexionen medial vermittelter Wahrnehmungsmuster handelt. Gibt es überhaupt Authentizität oder ist die Repräsentation die einzig verbliebene Möglichkeit der Selbstversicherung im Spiegelkabinett unserer Denksysteme? Der künstlerische Blick auf die Wirklichkeit jedenfalls bleibt fiktional. Die subjektive Erlebnisdimension der Bilderzählung, die durch die intime, komprimierte Form des Mediums noch betont wird, ist nicht der Ursprung der künstlerischen Setzung, sondern dessen Produkt. Es bezeugt nicht unmittelbar individuelle Wahrnehmung sondern konstituiert eine Perspektive, die vorgibt, autonom zu sein. Auf diese Art und Weise wird Subjektivität im Werk lokalisiert und zugleich von der Urheberin abgekoppelt. Diese bleibt ungreifbar, verborgen in den erahnbaren Subtexten und erfühlbaren Bedeutungsräumen, die zwischen, vor, hinter, und neben den Bildern liegen, und die ihrer Sichtbarkeit vorausgehen. Ihre von distanzierender Ironie und zärtlicher Zuwendung zum Leben gleichermaßen geprägten Werke aber vermitteln uns Atempausen in der Zeit.
Edith Almhofer, 16. 12. 2009
Die Forderung nach Selbstbestimmung und Befreiung von Zwängen, die in allen Bereichen des Lebens von Frauen in den 70er Jahren eingefordert wurde, machte auch vor der Kunst nicht Halt. Es ging dabei vorwiegend um das Bild der Frau in der Kunst, das bis dahin - bis auf wenige Ausnahmen - ein Bild des Mannes von der Frau gewesen war. Es ging darum, ein Bild der Frau von der Frau zu entwickeln, das es noch nicht gab. Die Suche nach einem künstlerischen Ausdruck für die Forderungen und das neue Selbstverständnis der Frauen ging dabei Hand in Hand mit einer Innenschau und einem Erkunden, was und wie dieses neue Bild ist. Die Offenlegung gesellschaftlicher Bedingungen und Zwänge, die Dekonstruktion traditioneller Bildentwürfe, Fragen nach Identität, die Erkundung des eigenen Körpers und der eigenen Sexualität und die Forderung nach Selbstbestimmung über diese bestimmten die Suche nach formalen und inhaltlichen Möglichkeiten abseits der tradierten patriachal geprägten Darstellungsformen.
Renate Bertlmann zählt zu den konsequentesten Künstlerinnen österreichs, die diesen Weg in den 70er Jahren einschlagen. Ihre Werke umkreisen den Themenbereich Liebe - Eros - Sexualität. Sie beleuchtet die innersten Bereiche der weiblichen Psyche, macht sie öffentlich und setzt sie in einen gesellschaftlichen Kontext. Aus einer dezidiert weiblichen Perspektive stellt sie Sehnsüchte und Empfindungen dar, thematisiert den Kampf der Geschlechter, demaskiert die Gesellschaft als eine von einer männlich geprägten, fetischbesessenen Sexualität bestimmte und schlüpft in unterschiedliche weibliche wie männliche Rollen, um Identitäten aufzuspüren und auszuloten. Ambivalenz prägt den Themenkomplex ihrer Arbeiten: Zärtliches steht neben Aggressivem, Wollüstiges neben Asketischem, Weibliches neben Männlichem, Todernstes und Hintergründiges neben einem entlarvenden, bisweilen beißenden Humor. Und zeitweise geht das Eine ins Andere über oder verschmelzt mit ihm.
Nebeneinander entstehen Werkgruppen, in denen die Künstlerin unterschiedliche Aspekte zum Thema beleuchtet und die ihr Oeuvre durch Herausbildung einer übergreifenden Ikonografie zu einem zusammenhängenden, immer komplexer werdenden System anwachsen lassen. Zeichnungen entstehen neben Objekten, die sie für inszenierte Fotografien und Performances wieder verwendet.
Eine wesentliche Werkgruppe in den 70er Jahren bilden die zärtlich- poetischen Arbeiten. In ihnen entwickelt die Künstlerin abstrahierte und reduzierte Formen für innige Empfindungen einer zärtlichen Körperlichkeit. In den Zeichnungen mit dem Titel „Berührungen“ von 1974 bilden zart schattierte Umrisslinien organische Formen, Formen, die sich berühren und umschlingen. Ein äquivalent zu diesen findet Renate Bertlmann in aufgeblasenen Präservativen und Latexschnullern. Durch die Art der Verwendung, einen gezielt auf die weiche Materialität der Oberfläche gelenkten Blick und die Titel der Werke, werden diese Gegenstände zum Synonym für Zärtlichkeit. Ihre Zugehörigkeit zu den Sphären des Sexuellen und Kindlichen fügt der abstakten Sicht der Zeichnungen eine weitere Bedeutungsebene hinzu, lässt Sexualität, Verhütung, Mutterschaft und kindliche Erfahrungen mitschwingen. Ab 1975 entsteht eine große Anzahl an Schnuller- und Präservativarbeiten: Aufgeblasene Präservative in Glasbehältern, die leicht aneinander liegen, inklusive Anleitung zum Aufblasen bei "Erschlaffen", Schnullermatten und -objekte mit eingedrückten und ausgestülpten Saugern, die sich als weibliche und männliche Genitalien lesen lassen, die Fotoserie und der Film "Zärtliche Berührungen", die die aufgeblasenen Enden zweier sich liebkosender und schlussendlich penetrierender Kondome zeigen, "Zärtliche Hände", ein "Zärtlicher Christus" mit einer Dornenkrone aus Schnullern, die erste Serie inszenierter Fotografien "Zärtliche Pantomime", die die maskierte Künstlerin in intimer Beschäftigung mit sich selbst und ihrer Sexualität zeigt. Gleichzeitig versieht Renate Bertlmann Schnuller und Kondome in anderen Objekten und Zeichnungen mit Skalpellen und erzeugt damit Bilder einer Verweigerung und einer aggressiven Wehrhaftigkeit angesichts der Verletzlichkeit der zarten Intimität sowie Bilder einer aggressiven Sexualität.
In einer weiteren Gruppe von Arbeiten setzt sich Renate Bertlmann mit gesellschaftlichen Aspekten der Sexualität und der Beziehung der Geschlechter auseinander. Sie beleuchtet Rollenzuweisungen und Zwänge, denen Frauen und Männer ausgesetzt sind und stellt die Ehe als ein zentrales Element in diesem Gefüge dar. In einer Reihe von Buntstiftcollagen und Zeichnungen von 1974/75 führt die Künstlerin das Bild der Frau als meist schwangere Braut mit weißem Kleid und Schleier und das Bild des Mannes als Bräutigam ein. In den Buntstiftcollagen, die den Beginn des entlarvenden, ironischen Humors markieren, der besonders für Renate Bertlmanns pornografischen Phallusarbeiten in den 80er Jahren charakteristisch wird, zeigt sie die Personen einer Festgesellschaft zu Phalli reduziert, demaskiert damit die Gesellschaft als eine phallozentristische und setzt dem von Sigmund Freud postulierten Penisneid der Frauen eine weibliche Interpretation entgegen. Mit ihnen in Zusammenhang steht auch der 1976 entwickelte Patronengürtel, der einen Handwerkergürtel zu einem mit phantasievollen Präservativen bestückten Waffengürtel werden lässt. Aus dem gesellschaftskritischen Stück "Ein Fest für Boris" von Thomas Bernhard übernimmt sie das Motiv der Beinlosen und der Rollstühle für weitere Zeichnungen, Objekte und Performances, wobei der Rollstuhl zugleich als gesellschaftliches Korsett und Hilfsmittel der auf ihre Rolle zurechtgestutzten Personen gelesen werden kann. Einen Höhepunkt finden diese Darstellungen 1978 in der Performance "Die schwangere Braut im Rollstuhl", an deren Ende die maskierte Braut nach der Geburt eines schreienden Bündels aufsteht und einfach geht.
Schließlich entstehen ab 1977 mehrere inszenierte SW-Fotosequenzen, in denen Renate Bertlmann in verschiedene Rollen schlüpft, sowie Arbeiten, in denen sie sich mit Entsagung und Trauer auseinandersetzt. Besonders zu erwähnen sind die Foto-Serien "Renée ou Renè", in denen die Künstlerin männlich konnotierte Haltungen und Handlungsabläufe bis hin zur Masturbation und Vergewaltigung durchexerziert, und der Grabstein mit der Aufschrift "Hier ruht meine Zärtlichkeit", der hier stellvertretend für viele weitere Arbeiten erwähnt wird.
Renate Bertlmanns Kunst baut bis heute auf den in den 70er Jahren eingeschlagenen Weg auf. Ab den 80ern werden ihre Arbeiten direkter, ironischer, üppiger und bunter und integrieren verstärkt Merkmale des Kitschs und direkte Anknüpfungen an die Pornografie. Die Fotografie kristallisiert sich immer stärker als übergeordnetes Medium heraus, mit dem die Künstlerin auch ältere Arbeiten immer wieder neu bearbeitet und die das Ausgangsmaterial für ihre in den letzten Jahren entstandenen, ruhigeren Fotofilmen bilden.
Was Renate Bertlmann von anderen feministischen Künstlerinnen der 70er Jahre unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie sich von Anfang an nicht auf die Entwicklung eines Bildes der Frau von der Frau beschränkt. Sie arbeitet auch an einem Bild der Frau vom Mann und von der Beziehung der Geschlechter in der Gesellschaft, schlüpft in männliche Rollen und verwischt - trotz grundsätzlich heterosexueller Ausrichtung - mit ihren Schnullern und Kondomen oftmals die Grenzen der Geschlechtlichkeit. Sie nimmt damit bereits in den 70er Jahren Forderungen und Themen der dritten Welle des Feminismus der 90er Jahren vorweg, was damals von radikalen Feministinnen, die eine Konzentration auf das rein weibliche forderten, oftmals kritisiert wurde, ihr aus heutiger Sicht aber einen besonderen Stellenwert einräumt.
zur Präsentation ihrer DVD Amo ergo sum Works 1972-2010
in der Secession, Oktober 2011 (PDF)
Wie die DVD Präsentation zeigt (noch mehr als die Katalogtrilogie von 1989 bei Ritter und der Katalog der Fotogalerie 2002), gilt Renate Bertlmann seit Beginn ihrer Künstler_innenlaufbahn als multiple Spielerin auf verschiedenen Ebenen (inhaltlich) und in wechselnden technischen Medien seit 1970 und ihren körperlichen Einsatz in öffentlichen Auftritten und in der Inszenierung im Atelier. Die übertragung von skulpturalen Ansätzen in Installation und Objekt, kombiniert mit theatralischen Abläufen, zuweilen auch mit Einsatz von Musik und Geräusch mittels Tonband zur Tonraumskulptur, war nach dem Beginn um John Cage und den japanischen Gutai, aber auch Yoko Ono, neu im Europa der 70er Jahre. Völlig überraschend, zuweilen anstößig wurde dies in österreich empfunden, wo sich Aktionismus und Happening ab 1958 mit George Mathieu, der "Wiener Gruppe" und Prachenskys wie Nitschs mit der Urszene des Theaters vernetzten Bildschüttungen und Selbstbemalungen (Brus) nur schwer etablieren konnten. Noch schwerer war es für den feministischen Part des Wiener Aktionismus, der mit Renate Bertlmann auch die Züge des Happenings eines Allan Kaprow oder Wolf Vostell nach Wien brachten. Partizipieren des Publikums, ein seit 1945 aktueller Bereich der animistischen ästhetik (siehe aktuelle Ausstellung der Generali-F), ist vor allem von den Künstlerinnen (Philipp, Bertlmann, Weibel, Export, Christanell etc.) vollzogen worden.
Sehr zäh geht das - mit Verspätung in den hiesigen Museen bis heute - und fast nur durch die künstlerische Forschung ins allgemeine Bewusstsein über. Trotz der Ausstellung "Mothers of Invention" und Publikationen von Carola Dertnig, trotz hoher Aktualität der Bertlmannschen Werke bei jungen Künstlerinnen von Anna Jermolaewa über Andrea Kalteis bis Geschwister Odradek, ist immer noch nicht allgemein bekannt, dass die "Streicheleinheiten" oder Schnullerkränze und Phallusobjekte (etc. aus Latex oder Schaumstoff, Plexi und Tüll, Flitter) zum Anlegen an den Körper die "Passstücke" eines Franz West vorweggenommen haben. Bertlmann gilt eher in der inszenierten und erweiterten Fotografie als ernst zu nehmende Pionierin (Gründung der Fotoinitiative Fluss kommt da hinzu), in gewisser Weise auch bei Objektkunst und erweitertem Kunstbegriff insgesamt. Ihren körperlichen Einsatz in der Performanceszene sollte aber langsam genauso bekannt sein wie "Aktionshose Genitalpanik" von Export. Heute ist die Methode des Durchbrechens Logos-männlich/Mythos-weiblich längst vollzogen, für die Export, Sieverding, Abramovic, Pane, Jürgenssen oder Bertlmann gekämpft haben. Die junge Generation konnte manche Lorbeerblätter weiterverwenden. Doch ist Lamentieren über einen nicht erreichten Hype der Aktionistinnen völlig unangebracht, denn die Kunstgeschichte wird jeden Tag neu geschrieben und die DVD könnte wieder etwas ändern an der zähen Erweiterung einer eng gefassten, undemokratischen und immer noch sehr elitären Kunstgeschichtsschreibung hierzulande. Ich darf da an Christian Krawagna erinnern im Kremser Künstlerinnenkatalogtext von 2003: jedes Jahrzehnt in österreich lässt nur eine Frau als große Neuentdeckung zu... .
Außerdem gibt es Ansätze in Bertlmanns Werk, die nach wie vor unbequem unangepasst sind wie auch ihr Verhalten gegenüber dem Kunstmarkt. Am Puls zu sein über längere Zeit und in manchen Punkten voraus, ist kein gutes Kriterium für Dabeisein im Mainstream, es wird erst hinterher belohnt. Außerdem gibt es zwei Punkte, die mit der immer parallel zur sogenannten Avantgarde laufenden Geschichte der Sexualität Allerweltstriumphe weiter verhindern: Bertlmann setzt sich mit den Mechanismen der in der Gesellschaft verankerten Pornographie auseinander, sie spart dabei Tabubruch und Peinlichkeiten nie aus und sie hat ein hohes Interesse, auch theoretischer Natur, am Kitsch. 1981 hat sie ein Symposium zu Kunst und Sexualität, 1993 eines zu Kitsch, Kunst und Tabu veranstaltet, es waren durchaus von der Stadt Wien vielbeachtete Forscher-Aktivitäten. Damals noch eher ungewöhnlich Kunst und Wissenschaft zu verbinden, ist die "künstlerische Forschung" heute eine eigene Richtung. Im Gegensatz zur forcierten Provokation, um mit der Skandalisierung einen Art Märtyrerkult des Künstlers an der bürgerlichen Gesellschaft im romantischen Sinn zu halten, ist sie aber immer Ambivalenzen und Brüchen mit sehr viel Humor nachgegangen, der in der frühen Phase des Wiener Aktionismus ihren berühmten männlichen Kollegen in der Nachfolge Schieles und Gerstls völlig fehlte.
Der feministische Schrei nach Selbstbestimmung (des Körpers und Geistes), das Spottbild der Braut und die falsche Sentimentalität des Braut- und Muttertraums (der heute in grausigen Perfektionsriten des Konsums im kollabierenden Spätkapitalismus wieder so schrecklich präsent ist) sind zwar durch ihr großes Vokabular an Gesten und Mimik gut zu verstehen, sollten aber mit der Anmerkung versehen werden, dass damals die Rede war von einer Suche nach alternativer "weiblicher ästhetik". Da hat Bertlmann aber schon die ambivalenten Kräfte des Eros im Rollentausch befragt - wie umgekehrt in dieser Zeit Jürgen Klauke oder Urs Lüthi - öfter die Maskerade zur Frau vollzogen haben. Die "Ren&ecute;e ou René"- Fotoserie Bertlmanns ist dabei nur die bekannteste "Häutung" oder Maskerade in Richtung "Trans- oder Crossgender" (diese aktuellen, aber nicht schönen Begriffe), die zeitgleich mit der Literatur von Judith Butler die strenge Trennung der Geschlechter aufgehoben hat und stattdessen die Unterscheidung von sozialem gender und sex einforderte.
Immer werden in diesem Werk die zentralen Ideen in mehreren Ebenen experimentell wie in Stationen umkreist, zuweilen gehen Fotoserie, Installation und Performance (öffentliche wie die im Atelier inszenierte, die sich in Fotoserien, aber auch partiturartigen Anordnungen von Polaroids oder Kontaktabzügen widerspiegeln) ineinander über, Resultate dieser Ideenkreise werden in sogenannten Lehrtafeln, so was wie Antistatements zu den männlich strukturierten Partituren eines Nitsch oder auch Beuys, versammelt. Hinter jedem der leidenschaftlich bearbeiteten "Sehnsuchtsfelder" steht die Versagung, Verweigerung, sichtbar in Verhüllungsszenen wie der "Les Amants"-Serie, aber letztendlich eben auch das Todesthema, gegen dessen Dominanz Bertlmann dann zuweilen das Anch- Kreuz der alten Ägypter als lebensbejahendes Statement "Hexenkreuz" neben dem Eros einsetzt. Die Verhüllung wird auch bei ihr ein Schleier zur Anderswelt, eine Verweigerung vor dem Konsum und Aufdeckung der seltsamen Naturen des Geldes oder auch der irregeleiteten kirchlichen Dogmen. Kaum jemand hat Prüderie der Kirche und den alten Priapos- oder Phalluskult genüsslicher aufgespießt - im wahrsten Sinne des Wortes für mehrere Objektserien gültig - wie Renate Bertlmann (gelitin verwenden für ihre äußerungen zum Phalluskult auch Spielzeug, jedoch ist die Kombination mit dem bekleideten Pimmel als Derwisch, böses Kind, Papst oder Mumie nur ein kleiner Teil ihrer Fantasiegestalten). Hoffnungen auf Zärtlichkeit und Schutz vor Gewalt nähern sich bissig an der Grenze zur Satire und doch bleiben Randthemen wie Kindesweglegung, Scham, Ohnmacht, Scheitern selbst im spielerischen Umgang "Strammhalter im Brustkasten" (auch wörtlich genommen) sehr kritische Statements in einer absurden Zeit.
Urvagina trifft "Heiligen Erectus" und Brüste-Ex-Votos, am einen Ende dieser Arbeiten steht die Symbolik der Frühgeschichte der Kunst mit ihren Frauengestalten, die mit "Venus" fälschlich benannt, auf den Fetischcharakter der frühen Werke hinweisen. Dies zieht Bertlmann ans zeitlich andere Ende in die Gegenwart - auch was die Vermarktung der Brust als Fetisch betrifft - Tastobjekte, sind ihr so wesentlich wie Messer - und Sch(n)eide - um letztlich auf eine plumpe Verdrängung des Eros in unserer Gesellschaft hinzuweisen. Die an die Stelle von echter Erotik tretende Gewalt oder der Missbrauch ist in vielen ihrer Inszenierungen präsent - die Frau als willenlose Sexpuppe (zuweilen gibt es aber auch eine männliche Sexpuppe, die Frau als Phallus), den Mund von Legostücken verschlossen, mit Federn gespickt, lässt sie in schrillen Farbtönen den Kitsch zur bedrohlichen Macht aufsteigen. Die Plastikprothesen vom Schnuller über Dildo und Sexpuppe ersetzen das menschliche Gegenüber, diese Stellvertreter werden geschmückt und als menschen- und früchteähnlicher Ersatz angepriesen, mit Flitter bestreut und zu Insekten wie bösartigen Zwergen und Aliens umgewandelt, auf eigene Altäre, in Vitrinen und Schneekugeln gestellt und in Fotobüchern und Filmen eingefangen. Hinter Kitsch und Camp (Susan Sontag) als postmodernen Spielarten stehen nach Vilem Flusser in immer größer werdenden Kulturspeicher die Boten seines Verfalls oder seiner Umwandlung in immaterielle Bilder am Computer einer zukünftigen Informationsgesellschaft nach der postindustriellen. Wie der Abfall und die armen Materialien reihen sich Kitsch und Camp als Durchgangsmodelle bis hin zur völligen Verstopfung und nachfolgend nötigen Entsorgung des Kulturspeichers als Zeichen unserer parallel laufenden Naturausbeutung an. Auch politisch fallen wir immer sichtbarer in mittelalterliche oder noch ältere Mythen und Ideologien zurück und kompensieren diese retrospektiv als Kitsch - Bertlmann will uns also auch bewusst machen, dass die zerstörerische Komponente unseres Verharrens am Sofa vor den Fernsehkanälen nur durch Ab- oder Umschalten gelöst werden kann. Trivialmythen des Begehrens, infantile Fantasien und erotische Prothesen sind ersetzbar - erst einmal durch Leben mit ihrer vielschichtigen Kunst und dann durch die Wirklichkeit.
Brigitte Borchhardt-Birbaumer